„Die Stimmung vor Weihnachten ist saumäßig“

Bürgermeister Martus hofft ein bisschen auf Goodyear-Reifenbedarf in Russland

So eine schlimme Weihnacht habe die vierköpfige Familie aus Philippsburg noch nie erlebt. Der Vater, gerade 46 Jahre alt, gehört zu denen, die von Reifenwerk Goodyear entlassen werden sollen. Vor 13 Jahre hat er gebaut, ihn treiben noch die Schulden um. „Ich denke jede Minute daran, wie es weitergehen soll.“ Dann eilt ein leicht grauhaariger Wiesentaler zum Schichtbetrieb. „Wir arbeiten seit drei Generationen in der Goodyear. Zählt das? Wir fühlen uns im Stich gelassen.“ Seine Frau weine oft. Für den Arbeitnehmer-Seelsorger Bernhard Renz herrscht eine „saumäßige Stimmung“. „Jahrzehntelang haben wir malocht, und zum Dank sitzen wir jetzt auf der Straße“, macht einer der Malocher deutlich.

Wenigstens Solidarität zum Ausdruck bringen: Das ist das Ziel der Kirchen, die zu einer Solidaritätskundgebung aufgerufen hatten. So stehen die Pfarrer Andreas Riehm-Strammer („Unternehmenspolitik auf dem Rücken der Menschen“) und Thomas Maier („Ich rufe alle Tage Gott um seine Hilfe an“) vor den Werkstoren und verteilen eine Solidaritätsadresse in Form eines grünen Flyers und einer Tafel Schokolade. Sie sind nicht allein. An ihrer Seite stehen viele kirchliche Vertreter, so die Katholischen Arbeitnehmerseelsorge und die Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), der evangelische Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) und die evangelische Arbeitnehmerschaft (ean). „Der Stern von Bethlehem soll zeigen: Wir stehen an eurer Seite und versuchen, mit euch eine gute Lösung für alle Beschäftigten zu finden“, steht auf den Zetteln mit den roten Lettern „Solidarität“ und „Hoffnung“.

Nicht jeder, der das Gelände betritt oder verlässt, greift zum Angebotenen. Viele zeigen sich frustriert, viele besorgte Gesichter sind zu sehen. Doch die meisten freuen sich, danken und würdigen mit knappen Worten die Unterstützung. „Wir kämpfen mit euch“, lässt Siegfried Aulich von der KDA wissen. Anton Ries von der KAB erinnert an die Schließungen in der Region: Salmkaserne, Schuler, Johnson Controls, Kernkraftwerk, Goodyear. „In Gebeten schließen wir unser Mitbürger ein“, bekundet Diakon Roland Moch. „Aber das reicht nicht: Wir müssen auf die Straße. Braves Verhalten nützt nichts.“

„Wir können doch nicht einfach zuhause sitzen“, so begründen die Stadträte Jochen Pöschel, Peter Haake und Günther Tirolf ihren Einsatz. Auch der Präsident des Salm-Clubs, Brigadegeneral a.D. Manfred Hofmeyer, will seine Verbundenheit zum Ausdruck bringen. „Unser Problem ist“, sagt ein Arbeiter, „dass von den 890 betroffenen Arbeitnehmern nur 120 Handwerker sind. Beim Rest handelt es sich um angelernte Kräfte, die nur schwerlich irgendwo anders unterzukriegen sind.

Auch Kasten Rehbein von der Gewerkschaft BCE zeigt Flagge. „Die breite Unterstützung hilft uns, bei den Gesprächen weiterzukommen. Jetzt wollen wir über Alternativen reden. Es kann ja nicht nur einen Weg – nämlich die Schließung – geben.“ Zugleich verweis er auf eine „vage Hoffnung“ von Bürgermeister Stefan Martus, die dieser auf Anfrage auch so bestätigte: Wenn das Embargo gegen Russland gelockert würde, könnte das eine Aufwärtsentwicklung für die Goodyear bedeuten, die unter den Sanktionen erheblich zu leiden hatte. Würden Donald Trump und sein neuer Außenminister und Russland-Freund Rex Tillerson eine Kursänderung vornehmen, könnten auf einen Schlag zig Millionen von Reifen Russland gebraucht werden.

 

(Schmidhuber)

 

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