Von „Wahnsinn“ bis zur „Unverfrorenheit“ und „Diktatur“

Entscheidung über Hochwasserrückhalteraum Elisabethenwört verursacht „maßlose Verärgerung“

Auf heftige, herbe und auch hämische Kritik stößt die Entscheidung über die „kleine Dammrückverlegung“ mit ungebremster ökologischer Flutung auf der Flussinsel Elisabethenwört: Immerhin handelt es sich um 410 Hektar. Umweltministerium und Regierungspräsidium unterbreiteten dem Projektbegleitkreis und den Arbeitsgruppen in Sachen Rückhalteraum Elisabethenwört in nichtöffentlicher Sitzung ihr Ergebnis, das jetzt so in das Planfeststellungverfahren eingebracht werden soll.

Staatssekretär Andre Baumann hob vor der etwa 50-köpfigen Runde und auch in einer vorgefertigten Pressemitteilung weniger den Hochwasserschutz, mehr den Erhalt des Naherholungsgebiets Altrhein hervor. Doch diese Schwerpunktsetzung teilen, wie vor Ort zu erfahren und zu erkennen war, wohl nur er und ein paar Vertreter der Umweltverbände.

Maßlos verärgert

Für die Stadt Philippsburg und die Gemeinde Dettenheim mitsamt der Bürgerschaft komme nur die kleine Variante als Polder mit einer gesteuerten Flutung in Frage: aus vielen guten nachvollziehbaren Gründen. „Maßlos verärgert“ zeigte sich nicht nur Bürgermeister Stefan Martus über die Entscheidung und die Art der Entscheidungsfindung, sondern auch seine Dettennheimer Kollegin Ute Göbelbecker, CDU-Landtagsabgeordneter Ulli Hockenberger, der Sprecher der Bürgerinitiative „Wir sind Heimat“, Uwe Hormuth, Ortsvorsteherin Jasmine Kirschner und – in einer separaten Erklärung – Stadt- und Kreisrat Hans-Gerd Coenen regten sich auf.

Für Martus war, so wörtlich, eine „grüne diktatorische Veranstaltung“ zu erleben, Ute Göbelbecker erkannte ein „Vorgehen mit der Brechstange“. Mit dieser „Unverfrorenheit“ werde allen Bürgern vor den Kopf gestoßen, ließ sie wissen. Dem direkt gewählten Abgeordneten Hockenberger ist es unbegreiflich, dass die Abgeordneten, die „täglich mit dem Thema konfrontiert“ sind, nicht eingeladen waren. Nach seiner Meinung tragen die UM- und RP-Verantwortlichen die „Bekundung von Transparenz wie eine Monstranz vor sich her“, doch dann wird eine Entscheidung einfach „exekutiert“.

Ideologischer Wahnsinn

Er habe viel Verständnis, dass Philippsburg ein Anwaltsbüro eingeschaltet hat, so Hockenberger, der sich von wichtigen Informationen ausgeschlossen sieht. Für Hormuth von der BI ist die angebliche Bürgerbeteiligung ein Hohn: „Wir durften uns wohl zu Wort melden, aber auf das Ergebnis hatten wir alle keinen Einfluss. War auch nicht gewollt“, sagt er mit Bitternis. „Als Ortsvorsteherin ist es meine Aufgabe, Schaden von Rheinsheim und seiner Bevölkerung fernzuhalten“, beschrieb Jasmine Kirschner ihre kritische Haltung.

Die effektivere Lösung für Hochwasserschutz bezeichnete sie, was auch belegt und nachgewiesen sei, die Polderlösung. Für den Rheinsheimer Stadtrat und Kreisrat Hans-Gerd Coenen wird „unter dem Deckmantel, etwas für den Hochwasserschutz zu tun, ideologischer Wahnsinn“ betrieben und eines der schönsten Naturschutzgebiete vernichtet. Dass hier von Bürgerbeteiligung gesprochen werde, müsse er als Farce bezeichnen.

Kein Gesprächstermin

Besonders zürnten Martus und Göbelbecker über das RP Karlsruhe. Dort hatten sie mehrmals um einen Gesprächstermin nachgesucht, aber keinen bekommen. „So sieht die Worthülse Transparenz in Wirklichkeit aus“, hieß es gleich mehrfach. Nichts wurde mit den betroffenen Kommunen abgesprochen, haderte der Philippsburger Rathauschef. „Stattdessen wird uns heute eine definitive Entscheidung präsentiert.“ Zu den vor Ort geäußerten Bemerkungen gehörte auch die Bezeichnung „par ordre du mufti“.

Mit einem Vergleich beschrieb ein Besucher das Verfahren: „Der Gemeinderat tagt nichtöffentlich. Nach der Geheimsitzung informiert der Bürgermeister die Presse aus seiner Sicht, gibt eine eigene Pressemitteilung und lobt schließlich seine großartige Transparenz.“ So sei es in Dettenheim abgelaufen, war zu hören. Immer wieder gab es hämisches Raunen in der Pfinzhalle, als der Staatssekretär und die Regierungspräsidentin die gute frühzeitige Öffentlichkeitsarbeit verkündeten, berichteten Teilnehmer.

Regelrecht verarscht

„Wir fühlen uns regelrecht verarscht“, gab Martus seine persönliche Empfindung wieder. Was ihn auch noch erboste: Die Einladung sah einen „Variantenvergleich“ vor, aber eine Bekanntgabe einer endgültigen Entscheidung habe niemand erwartet, sagte ein anwesendes Arbeitskreismitglied.  

Vor Beginn des offiziellen Planfeststellungsverfahrens hatte das Land 2014 eine sogenannte Öffentlichkeitsbeteiligung gestartet: Dabei wurden insgesamt sechs verschiedene Varianten und einige Untervarianten erörtert. „Nach über vier Jahren Diskussion, Besichtigungsfahrten und Veranstaltungen mit der Firmierung Bürgerbeteiligung haben das Regierungspräsidium und das Umweltministerium ihre Entscheidung jetzt bekannt gegeben und eindeutig erklärt, dass Bürgerbeteiligung nicht bedeutet, dass man Argumente austauscht und die besseren berücksichtigt“, ließ Hormuth seinem Unmut Luft.

Alle Argumente ignoriert

„Obwohl die Variante mit Polder einen besseren Hochwasserschutz bieten würde, hat sich die Behörde für eine Dammrückverlegung ausgesprochen. Alle Argumente wurden einfach ignoriert“, so der BI-Sprecher kopfschüttelnd.

Staatssekretär Andre Baumann aus Schwetzingen sah so manches anders als die betroffenen Bürger: „Die kleine Dammrückverlegung erhöht den Schutz der Bürger vor einem Hochwasser, sie gibt dem Rhein und den ehemaligen Rheinauen die Möglichkeit zurück, sich wieder natürlich zu entwickeln, und sie erhält das gleichermaßen beliebte wie wertvolle Naherholungsgebiet Rußheimer Altrhein.“

Mit voraussichtlichen Investitionskosten von rund 90 Millionen Euro sei die kleine Dammrückverlegung für den Steuerzahler günstiger als die anderen Varianten.

(Schmidhuber)

Weitere Stimmen zur Entscheidung:

Knapp und präzise formulierte Joachim Pöschel (SPD) seine Meinung: „Wer grün gewählt hat, wird sich jetzt schwarz ärgern.“ Wer bei der Landtagswahl den Grünen seine Stimme gegeben habe, sehe sich jetzt mit dem Ergebnis konfrontiert, das zum Nachteil von Philippsburg ausfalle.

Für Ingo Kretschmar (Uli) wird die öffentliche Meinung mit Füßen getreten. „Die Aussage der Regierungspräsidentin, es hat sich gelohnt, dass wir die Öffentlichkeit sehr frühzeitig in die Planung eingebunden haben, ist doch der absolute Hohn für alle Beteiligten, welche viel Zeit und Ideen investiert haben, in der Hoffnung doch noch eine vernünftige Lösung zu finden. Diese Dammrückverlegung bedeutet schon beim geringsten Hochwasser, dass der komplette Retentionsraum mit Wasser geflutet wird.“

Von einer „katastrophalen Entscheidung des Regierungspräsidiums und des Umweltministeriums“ spricht Christopher Moll von den Freien Wählern. „Zukünftig soll unser Naturschutzgebiet bei jedem geringsten Rheinhochwasser überflutet werden und nicht mehr von uns Bürgern als Naherholungsgebiet genutzt werden können. Mit der geplanten Variante – Dammrückverlegung – haben wir keine Möglichkeiten mehr, unser Naherholungsgebiet zu schützen.“

In höchstem Maße verärgert ist auch Freddy Degen, engagiertes Mitglied des Projektbegleitkreises, der in den vier Jahre an jeder Sitzung teilgenommen und kein einziges Mal gefehlt hat. Er fühle sich verarscht und über den Tisch gezogen, bekundet der Rheinsheimer und findet, dass die Verantwortlichen des RP und UM ein „unmögliches bürgerfeindliches Gebaren“ an den Tag legen. Die angebliche Bürgerbeteiligung diene nur als Alibi für die Bürgerübergehung.

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