Besuch aus Japan am 20.09.2018 in Philippsburg

Eine Delegation hochrangiger,  japanischer Wissenschaftler informierte sich am Donnerstag in Philippsburg über die kommunalen Auswirkungen des Atomausstiegs. Die Wissenschaftler verschiedener Universitäten haben sich vor einigen Jahren zu einer Forschungsgruppe zusammengefunden und waren bereits mehrere Male in Deutschland, um sich an verschiedenen Orten über die unterschiedlichen Aspekte der Atompolitik beziehungsweise der Energiewende zu informieren. Zu der Informations- und Diskussionsrunde hatte Bürgermeister Stefan Martus auch Vertreter der Energiewirtschaft, Bundes- und Landespolitiker sowie Vertreter der Gemeinderatsfraktionen eingeladen.

In Japan halten viele Standortkommunen aus wirtschaftlichen Gründen an den atomaren Anlagen fest, erklärt Professorin Soko Aoki. Als Soziologin sei sie daher sehr daran interessiert, welche finanziellen Auswirkungen eine Schließung der Anlagen auf die Standortkommunen hat und wie sich die Arbeitsplatzsituation verändert. Zu den finanziellen Auswirkungen gab stellv. Kämmerer Tobias Kammerer einen Überblick über die Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen von Philippsburg. Konnte man dort von 2002 bis 2016 noch mit durchschnittlich 8 Millionen Euro im Jahr rechnen, sind es jetzt nur noch rund 3 Millionen Euro, also weniger als die Hälfte. Der Wegfall dieser Steuern betreffe aber nicht nur die Stadt Philippsburg, sondern wirke sich über die Kreisumlage auf den gesamten Landkreis aus, ergänzte Martus. Zum Thema Arbeitsplätze erläuterte Jörg Michels, Geschäftsführer der EnBW, die Rückbaustrategie für die baden-württembergischen Atomkraftwerke. Da der Rückbau hauptsächlich mit eigenen Kräften bewerkstellig werde, sind von den ehemals 1900 Mitarbeitern noch 1600 an den drei Standorten Philippsburg, Neckarwestheim und Obrigheim beschäftigt. Interessiert vernahmen die japanischen Gäste die Ausführungen zum für den Rückbau notwendigen Verwaltungsaufwand und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit. „So viele Fragen sind in Japan nicht erlaubt“, bemerkte Soko Aoki. Werner Götz, Geschäftsführer der TransnetBW, kam auf das Problem der Versorgung zu sprechen. Mit Strom aus Windkraft könne man vor allem in Deutschlands Norden hohe Erträge erzielen. Gebraucht werde der Strom aber im produktionsintensiven Westen und Süden des Landes. Dafür müsse ein leistungsstarkes Verteilernetz aufgebaut werden, das nicht überall auf Akzeptanz stoße. Zukünftig werde es eine Kombination aus Fernversorgung und regionaler Selbstversorgung geben. Der Süden des Landes, also auch Baden-Württemberg, werde weiter abhängig von Stromimporten bleiben, lautet seine Prognose. Von geringer Akzeptanz für Windparks und mehr Akzeptanz von Fotovoltaikanlagen sowie aufwändigen und langen Genehmigungsverfahren wusste auch Markus Wirth, Geschäftsführer der Wircon GmbH, zu berichten. Dass der Strukturwandel von der Atomenergie hin zu erneuerbaren Energien zwar schwer sei, aber gelingen kann, erläuterte Martin Selent, Geschäftsführer der Elektro- und Anlagenbau GmbH. Nach der Entscheidung zur Energiewende hat er sein Geschäftsmodell völlig neu strukturieren müssen. Vom Anlagenbau in den Kraftwerken hat sich der Schwerpunkt nun auf Energieberatung sowie die Installation und Betreuung von Anlagen, die mit erneuerbarer Energie arbeiten, verlagert. „Damit die Energiewende gelingen kann, sind Politik und Verwaltung auf innovative Unternehmen und eine breite Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen“, fasste Martus das Gehörte zusammen. Ingo Kretschmar (Unabhängige Liste) wollte nun seinerseits von den Gästen wissen, welche Zukunftsvorstellungen Japan in Bezug auf die Energieversorgung habe. Nach Fukushima gäbe es viele in der Bevölkerung, die den Atomausstieg wollen, so Professor Yasushi Maruyama, allerdings hätten beispielsweise die Arbeiter in den Anlagen Angst um ihre Arbeitsplätze und auch die Betreiber wollen weiter Geld mit ihren Anlagen verdienen. Deshalb sei die Forschungsgruppe so interessiert, wie eine atomfreie Zukunft aussehen könnte. „Wir haben heute viele Erkenntnisse gewonnen“, bedankte sich Soko Aoki im Namen der Gäste für die umfangreichen Informationen. mele

(Mit freundlicher Genehmigung der Rheinpfalz)

Zurück