Erfolg vor 60 Jahren mit „Ehen in Philippsburg“
Schriftsteller Martin Walser wurde am Freitag, 24. März, 90 Jahre alt
Was hat Martin Johannes Walser nur veranlasst, seinen ersten, 1957 veröffentlichten Roman „Ehen in Philippsburg“ zu nennen? War 1957 die ehemalige Festungsstadt ehemäßig oder scheidungsmäßig irgendwie auffällig? Nein. Die Zahl der 1957 geschlossenen Ehen kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Nach Recherchen der Standesbeamtin Sabine Maier kamen gerade 38 Hochzeiten zusammen. Im Vorjahr waren es noch weniger, nur 25. Auch in der Bundesrepublik tat sich 1957 nichts Besonderes. 632.659 Paare schlossen damals den Bund der Ehe: nicht zu viel, nicht zu wenig im Jahresvergleich.
Sich weitgehende Gedanken zu machen, was die „Ehen in Philippsburg“ mit dem Philippsburg, dem späteren Atomkraftwerk-Standort, zu tun haben könnte, lohnt sich nicht. Zumal ja mit dem im Buch genannten Philippsburg die Landeshauptstadt Stuttgart gemeint sein soll. Also wird die für manche Zeitgenossen beschauliche badische Kleinstadt mit der schwäbischen 600.000-Einwohner-Metropole gleichgesetzt. Für ihre „Ehen in Philippsburg“ interessieren sich die Philippsburger und deren Nachbarn nur bedingt. In der Stadtbibliothek ist das Walser-Werk nicht unbedingt der Renner, lassen die erfahrenen Buchverleiherinnen Manuela Engelmann und Gislinde Mayer wissen.
Nach 60 langen Jahren hat sich die Neugierde über die Pseudo-Philippsburger deutlich verringert. „Hin und wieder kommt jemand vorbei und fragt danach“, sagt die Leiterin Manuela Engelmann. Trotz der Zahlen und Zugriffe: Wer „Ehen in Philippsburg“ im Internet googelt, wird 41.000 Mal fündig. Was eigentlich nicht wundert: „Das ist die Geschichte des besten Buches der jungen Bundesrepublik. Das ist die Geschichte der Ehen in Philippsburg.“ Das hat 2008 „Zeit online“ festgestellt.
Am 24. März wurde Martin Walser 90 Jahre alt. Sein erster Roman „Ehen in Philippsburg“ erschien 1957 und wurde ein durchschlagender Erfolg. Mit den „Ehen in Philippsburg“, dem kaum verschlüsselten Sittenbild der Stuttgarter Society, hat im gleichen Jahr die Karriere des vom Bodensee stammenden Walser begonnen. „Mittlerweile thront er im Olymp der deutschen Gegenwartsliteratur und beeindruckt als unangefochtener Meister mit einer bis heute nicht versiegenden Schaffenskraft“, lobpreist ihn 2017 die Landespresse.
Worum geht es im Stuttgarter Philippsburg? Hans Beumann, ein junger Mann aus kleinen Verhältnissen, uneheliches Kind einer Kellnerin, kommt nach Philippsburg: das Zentrum des uneingeschränkten westdeutschen Wirtschaftswunders und findet dort Zugang zur feinen Gesellschaft. „Rücksichtsloser Egoismus, eitle Beschränktheit und gewissenloses Karrierestreben bestimmen das Handeln der Menschen, in deren Beziehungen Betrug und Heuchelei vorherrschen. Es geht um Karriere, Macht, Wohlstand und Seitensprünge“, heißt es in einer Buchbesprechung.
Seit 60 Jahren sorgt die Namensgebung Philippsburg immer wieder für besondere Beachtung und Betrachtung. Der Roman, der – nahe liegend - jeder Leser zunächst an das nordbadische Klein-Philippsburg denken lässt, liefert ein äußerst satirisches Porträt der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zur Zeit des Erhard‘schen Wirtschaftswunders. Eher beiläufig klärte Martin Walser in einem Gespräch einmal auf: Hinter seinem Philippsburg verbirgt sich die Stadt Stuttgart.
(Schmidhuber)