Goodyear: Wenn Management auf Wirklichkeit trifft
Nach einem zweistündigen Sturm der Entrüstung hatte Jürgen Titz wohl geglaubt, das Ärgste sei überstanden. Doch nach dem offiziellen Teil der Gemeinderatssitzung in der Festhalle wurde es für den Goodyear-Chef, der das Werk Philippsburg nach 50 Jahren schließen will, noch einmal richtig heftig. Die 19-jährige Tochter eines langjährigen Reifenbauers aus Waghäusel baute sich vor dem Manager auf und konfrontierte den Mann, der zuvor so gesetzt über Unterstützungsmöglichkeiten für die 890 Beschäftigten sprach, mit dem echten Leben. Leben einer Familie mit zwei Kindern, die eigentlich studieren wollten und ihrem 55-jährigen Vater, der sein Häuschen noch abbezahlen muss. Einem Vater, der 31 Jahre im Reifenwerk geschuftet hat und den jetzt ein Bewerbertraining der Arbeitsagentur fit für die Berufswelt der Zukunft machen soll. „Das glauben Sie doch selber nicht“, sagt die junge Frau und der Goodyear-Chef muss heftig blinzeln. Doch Titz macht weiter seinen Job und fängt auch jetzt wieder damit an, die aus seiner Sicht „alternativlose“ Schließung zu rechtfertigen.
Das Problem: Kaum einer der vielen Besucher in der überfüllten Philippsburger Festhalle nimmt ihm seine Version ab. Dass die immer stärkere Nachfrage nach großen Reifen schuld sei an der Misere, weil doch in Philippsburg hauptsächlich kleinere Reifen produziert werden könnten. Das bezweifeln an diesem Abend nicht nur die Reifenbauer so, sondern auch die Besucher aus der Politik, darunter zahlreiche Rathauschefs aus der Nachbarschaft und auch Mandatsträger…
Nicht wenige Besucher hatten den Eindruck, dass die endgültige Entscheidung längst gefallen ist. Das noch ausstehende Einverständnis des Goodyear-Aufsichtsrates gilt nach dieser Lesart nur noch als Formalie. Verhandelt wird demnach nur noch um die Höhe der Abfindungskosten. Betriebsratschef Horst Haag will die Schließung dennoch irgendwie doch noch verhindern. Ein Maßnahmenpaket hierzu sei der Firmenleitung bereits präsentiert worden.
(Mit freundlicher Genehmigung der BNN)
„Verbrannte Erde“ in Philippsburg
Gemeinderatsmitglieder üben massive Kritik an geplanter Werksschließung
Die Kritik war schneidend und präzise: Goodyear-Deutschlandchef Jürgen Titz musste sich bei seinem Besuch im Philippsburger Gemeinderat so einiges anhören von Bürgermeister Stefan Martus und seinen Stadträten.
Eine punktgenaue Zusammenfassung der Stellungnahmen aller vier Fraktionen und der insgesamt zehn Stadträte, die sich zu Wort gemeldet hatten, nahm das dienstälteste Gemeinderatsmitglied Jochen Pöschel vor: „Ich versichere Ihnen: Der ganze Gemeinderat von Philippsburg steht in uneingeschränkter Solidarität zu den Beschäftigten der Firma Goodyear.“
Heftige und zumeist ungewohnt bissige Kritik mussten sich die Vertreter des Reifenkonzerns anhören. Peter Haake (SPD) etwa hielt es nicht mehr auf dem Stuhl, sprang erregt hoch und zeigte mit dem Arm immer wieder nach vorn. Dietz winde sich „wie ein Aal im Wasser“ und wolle „die berechtigten Fragen des Betriebsrats hier vor der breiten Öffentlichkeit“ einfach nicht beantworten. Für Christopher Moll (FW) stellte sich die Frage, ob nicht ein Versagen des Firmenmanagements vorliege, die der wohl intern absehbaren Entwicklung nicht entgegengesteuert habe und jetzt auch keinerlei Alternativen prüfe. „Lassen Sie Ihre Leute nicht im Stich, die Ihnen damals beim Großbrand 2004 aus der Patsche geholfen haben“, forderte Moll.
Er vermisse die durchaus vorhandenen guten Sachargumente für den Standort Philippsburg, ärgerte sich Jochen Pöschel (SPD). „Keine Kaserne mehr, kein Kernkraftwerk, keine Goodyear, nur noch „verbrannte Erde“, stellte der SPD-Fraktionschef fest. Auch erinnert er daran, dass die Arbeitnehmer in Notsituationen auf Lohnteile verzichtet hätten, dass die Stadt nach dem Großbrand 2004 Kosten von einer Million Euro übernommen habe, dass von Philippsburg eine weitere Million Euro für die Zufahrtsstraße zu Goodyear gekommen sei. „Zum Dank“ werde jetzt das Werk geschlossen.
Werner Back (CDU) sieht keine Dialogbereitschaft von Seiten der Firma. In früheren Jahren habe es immer wieder ein gewisses Auf und Ab gegeben, „aber alle Probleme wurden im Einvernehmen geklärt. Warum diesmal nicht?“ Sein eindringlicher Appell, auch an das Gewissen der Verantwortlichen: „Geben Sie den Standort Philippsburg nicht auf.“ Ingo Kretschmar (ULis) reagierte zornig auf die Goodyear-Aussage, ein Teil der Beschäftigten vor Ort ließe sich in anderen Werken unterbringen. „Das ist reiner Hohn. Soll ein hiesiger Familienvater an die polnische Grenze ziehen?“ Für seine Fraktionskollegin Gaby Verhoeven-Jacobsen handelt es sich um eine „der schlimmsten Tragödien in Philippsburg und der Region.“ Massive Vorhaltungen mussten sich die anwesenden drei Goodyear-Führungsleute auch von den Stadträten Peter Kremer, Klaus Baader und Thomas Biesenberger gefallen lassen.
Appell von Pfarrer Maier
Den emotionalsten Appell richtete Pfarrer Thomas Maier an die Geschäftsführung: „Im Namen Jesu Christi flehe ich Sie an: Lassen Sie den Leuten ihre Arbeitsplätze. Denken Sie doch an die vielen Familien und besonders an die Kinder.“
(Schmidhuber)