50 Jahre Städtepartnerschaft mit der Île de Ré

110 Philippsburger reisen auf die französische Atlantikinsel

1974 wurde die Partnerschaft Île de Ré – Philippsburg durch André Brizard und Fritz Dürrschnabel gegründet. Jetzt, 50 Jahre danach, machten sich 110 Philippsburger in zwei Bussen und diversen PKW auf den Weg, um mit den französischen Freunden der Partnerschaft auf der Île de Ré den Anlass mit einem vielfältigen Programm zu feiern.

Bereits die Hinreise hielt eine Attraktion bereit: Einer der Busse startete bereits am 29.5. in Philippsburg und hielt für eine Nacht in Sens. Die ca. 50 Mitreisenden in diesem Bus hatten die Gelegenheit, bei einer Führung die außergewöhnliche Kathedrale kennenzulernen, eine der ersten ihrer Art, die für zahlreiche spätere Bauwerke als Vorbild diente. Die vielfältigen figürlichen Darstellungen an und in der Kirche hatten in der Französischen Revolution stark unter dem Furor der Revolutionäre gelitten. Diese hatten den Figuren systematisch die Köpfe abgeschlagen oder gleich ganze Figuren entfernt.

Ebenfalls im Stadtzentrum präsentierte die aus Stahl und Ziegeln Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Markthalle ihren Charme mit einer weitgespannten lichtdurchfluteten Kuppel und einem prunkvollen Portal. Bei unserem Besuch war zwar kein Marktbetrieb, einige besonders Neugierige schafften dennoch einen Blick in die Halle.

Am 30.5. startete der zweite Bus mit 30 Reisenden in aller Frühe in Philippsburg, während der erste Bus seine Fahrt ab Sens aufnahm. Die zwei Busse trafen sich ca. zwei Fahrstunden vor der Île de Ré, um die Fahrt gemeinsam fortzusetzen.

Fahrziel dieses Tages war die Mehrzweckhalle in Ste. Marie, wo die französischen Freunde uns einen warmherzigen Empfang bereiteten und einen Willkommenstrunk mit kleinen Knabbereien reichten. Hier trennten sich die Wege der deutschen Reisenden, von denen viele von ihren zum Teil schon seit vielen Jahren befreundeten Gastgeberfamilien in Empfang genommen wurden, andere mit den Bussen ins Hotel oder in die Campingmobile auf dem Campingplatz in Le Bois weiterfuhren.

Am ersten Besuchstag stand vormittags für die meisten das Handwerkerdorf in Loix auf dem Programm: ein bei dieser Gelegenheit besuchter Betrieb dort produziert und verkauft zahlreiche verschiedene Seifenprodukte, z. B. Eselsmilchseife mit der Milch von Eselstuten der Insel, ein anderer hat sich auf Honig spezialisiert. Als besonders spannend entpuppte sich das Atelier von Lionel Quillet, des Chefs der CdC, der Dachorganisation der 10 Inselgemeinden.

In diesem Atelier werden Bücher und Dokumente restauriert, die z.T. mehrere Jahrhunderte alt und oft in einem miserablen Zustand sind. 40 Mitarbeiter zerlegen, reinigen und rekonstruieren in mühevoller, geduldiger Kleinarbeit die Blätter und Einbände der Bücher. Typische Daten sind 300 Stunden rein manueller Arbeit sowie 10.000 € Kosten einer Restaurierung. Lediglich zwei derartige Ateliers gibt es in Frankreich. Längst nicht alle europäischen Länder weisen solche Betriebe auf, weswegen die Kunden auch aus dem Ausland kommen, darunter insbesondere staatliche oder Stadtarchive, aber auch Firmen oder vermögende Privatkunden.

Einer anderen Aufgabe widmeten sich sechs Reisende aus Philippsburg: sie bestückten zwei Ausstellungsräume der Museums Ernest Cognac in St. Martin mit ihren Gemälden, Grafiken oder Fotografien. Je sechs Künstler aus Philippsburg (bereits bekannt aus Ausstellungen in Philippsburg und Umgebung) und von der Île de Ré zeigten gemeinsam ihre Werke.

Die Ausstellung im Museum Ernest Cognac in St. Martin resultierte aus einer Initiative deutscher und französischer Vorstandsmitglieder, und sie wurde durch die Kuratorin des Museums Christelle Rivalland tatkräftig unterstützt. Vertreten waren Skulpturen, großformatige Gemälde, Fotografien und kleinformatige enorm detailreiche Tuschegrafiken. Die Vernissage bot drinnen in der Ausstellung sowie im Freien bei Getränken, kleinen Snacks und guter Musik Gelegenheit zu lockeren Kontakten zwischen den Künstlern und den vielen erschienenen französischen und deutschen Besuchern.

Im Oktober wird es beim Gegenbesuch der französischen Partnerschaftsfreunde in Philippsburg im Rathaus/Arthaus eine Ausstellung der gleichen Künstler und ihrer Werke geben.

Ein weiterer Höhepunkt erwartete die Jubiläumsgäste am Samstagvormittag: sie bestiegen im Hafen von St. Martin ein Passagierschiff, das um den südöstlichen Teil der Insel herum unter der Brücke zwischen Festland und Insel hindurch bis zum Fort Boyard fuhr, eine bereits vor ihrer Fertigstellung obsoleten Befestigung mitten im Meer, die zwischenzeitlich als Gefängnis diente, jetzt aber für Fernsehshows genützt wird. Viele harrten im frischen Wind an Deck aus, andere zogen das windgeschützte Innere des Schiffes vor. Die Fahrt erlaubte auch Blicke aus ungewohnter Perspektive auf die Île de Ré zwischen St. Martin und der Brücke sowie aus größerer Entfernung auf die Inseln Oléron und d’Aix.

Der Nachmittag konnte genutzt werden, sich für den Festabend zu erholen und vorzubereiten.

Der fand im Festsaal in Rivedoux unmittelbar an der Uferlinie der Insel statt. Er bot den Rahmen für die Unterzeichnung neuer Partnerschaftsurkunden durch alle Bürgermeister der Insel sowie durch Bürgermeister Martus. Darüber hinaus tauschten die beiden Partnerschaftskomitees mehrere größere und kleinere Geschenke aus: Philippsburg erhielt eine aus gebürstetem Edelstahl geschmiedete Skulptur eines Fisches, die sicher im Rathaus einen würdigen Platz finden wird. Die Philippsburger Delegation hatte einen Pylon ähnlich den Pylonen des Stadtrundganges in Philippsburg mit drei Schrifttafeln dabei, die die Vorgeschichte der Partnerschaft, die Partnerschaft seit ihrer Gründung und die Stadt Philippsburg beschreiben.

Dieser Pylon wird voraussichtlich zuerst eine Rundreise durch die Gemeinden der Insel antreten, wo er für jeweils einen Monat den Bürgern zur Verfügung steht. Anschließend wird er wohl beim Pulvermagazin von St. Martin fest im Boden verankert, neben dem gepflanzten Baum ein weiterer Ankerpunkt für die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft.

Im Oktober wird das Gegenstück dieses Pylon in Philippsburg präsentiert werden, der auf Tafel 3 die Île de Ré vorstellen wird.

Vier Philippsburger hatten eine besondere Art gewählt, auf die Île de Ré zu gelangen: sie fuhren die ganze Strecke mit dem Fahrrad. Volker Hunder, sein Cousin Robert Maafa und dessen Söhne Julius und Benjamin Maafa waren am 24.5. in Philippsburg gestartet und in Etappen um die 140 km pro Tag, insgesamt ca. 1200 km durch Frankreich gefahren. Versehentlich waren sie unterwegs auch in ein Manövergelände der französischen Armee geraten und unter Geleit wieder herausgeführt worden. Schließlich kamen sie aber am Tag des Festabends auf der Insel an und wurden beim Festabend stürmisch gefeiert.

Der Festabend bot neben den formellen Teilen auch viele Gelegenheiten zu Gesprächen (auch und gerade an den Schrifttafeln des Pylonen), ein schmackhaftes Menü, dazu die passenden Getränke, und Musik, die die Lust weckte, zu tanzen.

Der letzte Tag des Besuchs führte die deutschen und französischen Freunde in die Genossenschaftskellerei in Le Bois. Dort erhielten sie interessante Einblicke in die Herstellung von Pineau, einem alkoholischen Getränk aus Traubensaft und Cognac, sowie von Cognac. Die Insel liegt im Randbereich des Gebietes, in dem Cognac erzeugt werden darf, sie hat umfangreiche Rebenflächen, aus denen die Produkte der Kooperative gewonnen werden. (Weitere prominente Produkte von der Insel sind die ausgezeichneten Kartoffeln, das Meersalz und die Austern. Wein, Pineau, Austern und Meersalz können beim Philippsburger Weihnachtsmarkt erworben werden.)

Dieser letzte Tag kam bei der Kirche von Ars mit einem stimmungsvollen und sehr gut besuchten Konzert mehrerer Musikformationen der Insel zum Abschluss, die zu Beginn gemeinsam die deutsche Nationalhymne und anschließend die Marseillaise beeindruckend kraftvoll intonierten.

Die Gemeinde Ars lud im Anschluss zu einem Umtrunk mit kleinen Snacks ein.

Am Morgen der Rückfahrt bevölkerten die Philippsburger und ihre französischen Gastgeber das Gelände vor dem Campingplatz in Le Bois, um ihr Gepäck in den Bus zu laden, von den französischen Freunden Abschied zu nehmen und um noch gemeinsame Fotos zu machen.

Der Abschiedsschmerz, der sich vereinzelt in Tränen zeigte, wurde gemildert durch die Aussicht, sich im Oktober in Philippsburg wieder zu sehen.

 

Werner Strohmeier

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