75 Jahre Grundgesetz und 175 Jahre Badische Revolution

Nachstehend die Ansprache von Bürgermeister Stefan Martus von der Veranstaltung
„offizielle Übergabe der Demokratie-Säule aus Anlass 75 Jahre Grundgesetz und
175 Jahre Badische Revolution“ von Mittwoch, 8. Mai 2024:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
meine Damen und Herren Stadträtinnen und Stadträte,
sehr geehrter Herr Abgeordneter Ulli Hockenberger,
sehr geehrter Herr Bürgermeister a.D. Jürgen Schmidt,
sehr geehrte Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Schulen,
unserer Freiwilligen Feuerwehr, der Behörden, der Banken und der örtlichen Wirtschaft,
liebe Heimatfreunde,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
meine sehr geehrten Damen und Herren!


Auf dem Höhepunkt der badischen Revolution, im Mai 1849, verbrüderten sich Soldaten und Bürger in der Festung Rastatt, um gegen die Monarchie aufzubegehren und für „Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen des Volkes“ zu kämpfen.

Freiheit, Wohlstand und Bildung für alle!

Diese Botschaft von Gustav Struve brachte die Forderungen nach freiheitlichen Bürgerrechten in der Badischen Revolution klar zum Ausdruck.

Dieses Aufbegehren fand auch in Philippsburg statt, z.B. im Gasthaus „Zum Drachen“ nicht unweit des Platzes wo wir heute die Säule der Demokratie „75 Jahre Grundgesetz“ enthüllen werden. Am 21. Juni fand mit der Schlacht bei Waghäusel die Revolution mit der Niederlage der Revolutionäre ihr jähes Ende.

Die Idee von einem freiheitlich demokratischen Staat lebte aber weiter.

100 Jahre später wird mit der Verabschiedung des Grundgesetzes eine staatliche Ordnung geschaffen, die sich an den Idealen der Revolution von damals orientiert. Viele der Forderungen der badischen Revolution stehen heute im Grundgesetz bzw. sind Bestandteil unserer Verfassung.

Am 8. Mai 1949, heute vor 75 Jahren, wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Parlamentarischen Rat beschlossen und am 23. Mai 1949 offiziell verkündet.

Beide Ereignisse -die Badische Revolution von 1848/1849 und das Grundgesetz von 1949- sind wichtige Meilensteine in der deutschen Geschichte. Sie stehen für den Kampf um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Der Zusammenhang liegt darin, dass sie beide den Wunsch nach einer gerechten und freien Gesellschaft repräsentieren, sowohl damals als auch heute.

Die Bedeutung dieser Ereignisse ist auch heute noch relevant, da sie die Grundlage für unsere heutige demokratische Ordnung bildet und uns daran erinnert, wie wichtig es ist, für unsere Rechte und Freiheiten einzustehen.

Die Grundwerte, die in unserer Verfassung niedergeschrieben sind, waren eine Reaktion auf die Schrecken des Nationalsozialismus: Nie wieder sollten in diesem Land Diktatur und Unrecht herrschen. Mit unserer Verfassung haben uns die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein Wertefundament geschenkt, das uns als Gesellschaft ein vielfältiges, friedliches Miteinander ermöglicht. Die Wahrung der Menschenwürde, der Freiheit und der Gleichheit sind Pfeiler dieser Demokratie, auf die wir enorm stolz sein können.

Und nie wieder ist genau jetzt, denn heute jährt sich auf den Tag genau zum 80. Mal das Ende des 2. Weltkrieges. Leider haben wir wieder Krieg auf europäischem Boden. Dies ist besorgniserregend und erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den europäischen Ländern.

Darüber hinaus wird unsere Demokratie in Deutschland von innen angegriffen. Demokratie-feindliche Einstellungen und Misstrauen gegenüber dem Staat nehmen zu und bedrohen unsere offene, liberale Gesellschaft.

Wir müssen uns fragen und Antworten finden, wie wir die Errungenschaften unserer Demokratie erhalten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern.

Mahatma Gandhi verstand unter Demokratie, dass der Schwächste die gleichen Rechte hat, wie der Stärkste.

Anders ausgedrückt: In einer Demokratie leben alle mit den gleichen Rechten in Freiheit, in Sicherheit und in Frieden.

Über Gerechtigkeit in unserem Rechtsstaat können diese Ziele erreicht werden, denn je gerechter es zugeht, desto friedlicher ist unser gesellschaftliches Zusammenleben.

Das macht die Demokratie für uns so wertvoll. Sie gilt es, mit allen Kräften zu schützen.

Aber eines ist auch klar:
Es ist nicht immer möglich, es allen recht zu machen. Deshalb brauchen wir Offenheit und Verständnis für andere Meinungen.

Seit einigen Jahren wird dies aber aufgrund vieler Krisen wie beispielsweise
- der Corona Pandemie
- dem Ukraine Krieg
- der Flüchtlingswelle
- dem Krieg gegen die Terrororganisation Hamas
- dem Klimawandel

zunehmend schwieriger. Viele sind verunsichert und wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Sie wünschen sich Halt und Lösungen. Sie wollen, dass man sich ganz konkret um ihre Probleme kümmert.

Dies macht es für die Vielen, die in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen und tragen, nicht einfacher und für die politisch Verantwortlichen, zunehmend schwerer.


Meine sehr verehrten Dame und Herren,

aber es gibt diese Persönlichkeiten noch, die Verantwortung in unserer Gesellschaft über-nehmen und sich ehrenamtlich in der Kommune bzw. in der Kommunalpolitik, im Gemeinde- und Ortschaftsrat, im Kreistag engagieren, das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen, Haltung zeigen und Vorbilder für unser gesellschaftliches Zusammenleben sind.

Es sind Persönlichkeiten, die gerade nicht die einfachen und schnellen Lösungen versprechen, denn diese Lösungen gibt es in einer immer schneller werdenden und weiter digitalisierten globalen Welt nicht.

Gerade unsere Ortschafts- und Gemeinderatsgremien in unserer Kommune sind die Pfeiler unserer parlamentarischen Demokratie. Dort werden Entscheidungen getroffen, deren Auswirkungen die Bürgerinnen und Bürger in ihrem persönlichen Umfeld oft unmittelbar zu spüren bekommen und nicht selten ihre Probleme lösen.

Die „Gemeindeparlamente“ sind überdies hervorragende Lernorte für das, was Demokratie im Kern ausmacht: Ein zähes Ringen um Mehrheiten und Interessen, ein Für und Wider und manchmal auch ein Hü und Hott.

Das ist nicht immer besonders spannend, aber es ist notwendig, wenn die Staatsgewalt vom Volk und nicht von einem Autokraten ausgehen soll.

Insofern ist der seit Jahren zu beobachtende schleichende Niedergang bei der politischen Partizipation eine gefährliche Entwicklung. Mehr noch als die viel bedauerte, meist sinkende, Wahlbeteiligung, ist der zunehmende Mangel an Kandidatinnen und Kandidaten für politische Ehrenämter, besorgniserregend.

In Philippsburg wurde eine große Auswahl an Kandidatinnen und Kandidaten von Wählervereinigungen und Parteien aufgestellt und für die Kommunalwahl am 9. Juni 2024 zugelassen.

Kandidatinnen und Kandidaten, die die Werte unserer Demokratie leben, Demokratie und Rechtsstaat verteidigen, sich gesellschaftlich engagieren und Vorbilder in unserer Kommune sind.

Kandidatinnen und Kandidaten, die für Frieden und Freiheit stehen, die sich ganz klar gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass, Antisemitismus und Rechtsextremismus positionieren.

Darauf können wir bereits heute sehr stolz sein.

Nun liegt es aber an uns, dass am 9. Juni die Wahlbeteiligung hoch ist und die Kandidatinnen und Kandidaten, die zu unseren Grundrechten stehen, demokratisch legitimiert und gestärkt in eine neue Legislaturperiode gehen können.

Denken Sie daran, Mahnwachen und Veranstaltungen wie heute sind ein Anfang, retten die Demokratie alleine jedoch nicht.

Nutzen Sie die Errungenschaften die unsere Vorfahren mit einer Revolution erkämpfen mussten. Nutzen Sie die Grundwerte, die in unserer Verfassung niedergeschrieben sind, denn diese waren eine Reaktion auf die Schrecken des Nationalsozialismus, Antisemitismus, Ausgrenzung von Andersdenkenden und eines schrecklichen Krieges:

Nie wieder soll in diesem unserem Land Diktatur und Unrecht herrschen.

Und nie wieder -wie bereits gesagt- ist genau jetzt.

Gehen Sie zur Wahl und machen Sie von Ihrem Stimmrecht Gebrauch.

Stärken Sie mit Ihrer Stimme die Demokratie in einem vereinten Europa, der Institution, die aus meiner Sicht zu Recht den Friedensnobelpreis 2012 erhielt und immer noch die Friedensbewegung schlechthin nach dem 2. Weltkrieg ist.

Europa ist aus meiner Sicht, wie keine andere Institution, der Garant für Wohlstand in Frieden und Freiheit. Europa spielt in der heutigen Zeit eine entscheidende Rolle als politische und wirtschaftliche Union. Trotz der Herausforderungen, denen Europa gegenübersteht, ist es wichtig, dass die Länder zusammenarbeiten, um Frieden und Stabilität und Wohlstand in der Region zu gewährleisten.

Ich jedenfalls bin überzeugter Europäer und genieße die Errungenschaften bzw. den Wohlstand eines vereinten Europas.

Die Aussöhnung mit Frankreich nach dem 2. Weltkrieg ist beispielhaft und unsere Partnerschaft mit der Île de Ré feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum.

Die Partnerschaft zwischen Le Gua in Frankreich und Huttenheim besteht bereits seit 1968 und ich darf Morgen eine Delegation aus Le Gua in Huttenheim empfangen.

Und übrigens darf gerade jetzt eine Schülergruppe des Copernicus-Gymnasiums Philippsburg, auf Einladung unserer französischen Partner der Île de Ré, erstmalig während der Gedenkfeier zum Ende des 2. Weltkrieges, eine Ansprache halten.

Eine großartige Geste und auch eine großartige Rede unserer Jugend wie ich finde. Diese Rede durfte ich bereits in Französisch lesen.


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

am 9. Juni ist „Großwahltag“: Es geht um nichts weniger wie Europa, die Kreistage, Gemeinderäte, Ortschaftsräte, die Demokratie allgemein in Europa, aber auch bei uns lokal vor Ort.

Unser Grundgesetz, die Verfassung Deutschlands, ist das Fundament unserer Demokratie. Es definiert die Prinzipien unserer staatlichen Ordnung wie Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Achtung der Menschenrechte.

Am 8. Mai 1949, also vor genau 75 Jahren, wurde unser Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat, 65 stimmberechtigten Mitgliedern, darunter immerhin 4 Frauen, beschlossen.

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz feierlich verkündet.

Ein Provisorium sollte es sein, da es bei seiner Verkündigung noch nicht die Verfassung für einen deutschen Gesamtstaat sein konnte, da das Saarland und die sowjetisch besetzten Länder nicht dabei sein konnten. Deshalb blieb es bei der nüchtern-funktonalen Bezeichnung „Grundgesetz“.

Mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde keine neue Verfassung verabschiedet; stattdessen trat am 3. Oktober 1990 die damalige „DDR“ dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei.

1949 bestand das Grundgesetz aus einer Präambel und 146 Artikel. In den ersten 19 Artikeln sind die Grundrechte der Bürger verankert. Diese haben wir mit Schlagworten auf Tafeln an der Säule der Demokratie festgehalten.
So beispielsweise:
Artikel 1 Menschenwürde – Menschenrechte: Die Würde des Menschen ist unantastbar oder

Artikel 20 Volkssouveränität - der Grundgedanke der Demokratie: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt“.

Rund 60 Mal hat das Grundgesetz seit seinem Inkrafttreten Änderungen erfahren, zum Beispiel durch Schaffung der Bundeswehr und Wiedereinführung der Wehrpflicht 1956 oder die Aufnahme des Umwelt-, Klima- und Tierschutzes als Staatszielbestimmung (1994 / 2002).

Damit ist das Grundgesetz wohl die am häufigsten geänderte Verfassung der Welt. Doch die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben für Änderungen hohe Hürden eingebaut.

Für eine Gesetzesänderung wird eine 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat benötigt. Die sogenannte Ewigkeitsklausel besagt, dass Wesentliches wie Demokratie, Freiheit und Föderalismus unabänderlich ist.

Deshalb heute nochmals mein Appell:
Gehen Sie m 9. Juni zur Wahl. Machen Sie von Ihrem Stimmrecht Gebrauch.

Stärken Sie durch eine hohe Wahlbeteiligung die Demokratie in Europa, im Landkreis, in unserer Stadt und in den beiden Ortschaften.

Am Ende danke ich allen Beteiligten, die an der Entstehung unserer Demokratie-Säule mitgewirkt haben:
- der Firma Holz Heiler aus Philippsburg, die den Eichenstamm aus unserem Stadtwald in diese Form gebracht hat,
- der Firma Metallbau Baader aus Huttenheim, für die Fertigung der einzelnen Schilder, der Halterung der Demokratie-Säule, sowie der „Wind-Fahne“ 75 Jahre,
- Herrn Ulf Brecht von der Fa. Philipp für die Spende der Steine und
- nicht zuletzt meinen Mitarbeitern des Stadtwaldes und des Bauhofes

Eine besondere Idee wurde von Frau Gülüzar Aygün mit Jugendlichen vom Schülerhort Philippsburg umgesetzt: Auf 75 Steinen, sog. Wandersteinen, wurden wichtige Schlagworte der verschiedenen Artikel des Grundgesetzes verewigt, um so die Grundwerte und Prinzipien unserer Gesellschaft weiterzutragen.

Die Grundrechte, unsere Werte auf Stein gemalt, um nicht zu sagen, in Stein gemeißelt.

Die Beteiligung der Jugendlichen aus unserem Schülerhort an der Gestaltung der Wandersteine ist nicht nur eine schöne künstlerische Aktivität, sondern auch eine Möglichkeit, sie für die Bedeutung des Grundgesetzes zu sensibilisieren.

Die heutige Ausgabe der 75 Wandersteine an Sie alle, liebe Gäste, wird dazu beitragen, das Bewusstsein für die Grundrechte und -pflichten zu stärken. Es ist schön zu sehen, wie kreative Ideen wie diese dazu beitragen können, wichtige gesellschaftliche Themen zu vermitteln und zu feiern. Vielen herzlichen DANK für diese schöne Umsetzung!

 

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