„Reifen verursachen Opfer“

Demonstrationszug und Solidaritäts-Kundgebung auf dem Ile-de-Ré-Platz

Fast zwei Stunden Solidarität bei fünf Grad Minus ist schon etwas Besonderes. Aber das Ungemach nahmen alle in Kauf, die zum Demonstrationszug und Solidaritäts-Kundgebung auf dem Ile-de-Ré-Platz gekommen waren. Fröstelnd machte aber nicht nur die äußere Kälte, sondern auch die von Anfang an offenbarte Einstellung des Goodyear-Reifen-Konzerns, bei dem das Schicksal von 900 betroffenen Familien hinter wirtschaftlichen Interessen steht.

Weit über den Platz ertönte der Gänsehaut: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ So lautete die Botschaft des politischen Liedermachers Bernd Köhler. Wer auch gekommen war, zeigte sich einig: „Ja, wir müssen kämpfen, wir dürfen uns nicht verloren geben. Vielleicht können wir doch noch die Arbeitsplätze retten.“ Ihre Verbundenheit brachten die Abgeordneten Olav Gutting, Ulli Hockenberger, Daniel Born und Gabi Rolland zum Ausdruck, die Bürgermeister Stefan Martus, Thomas Deuschle, Ute Göbelbecker und Martin Büchner, Ortsvorsteherin Jasmine Kirschner und Ex-Bürgermeister Jürgen Schmidt, zahlreiche Stadt- und Ortschaftsräte, die Pfarrer Andreas Riehm-Strammer und Thomas Maier.

Am Werkstor hatte der lange Marsch begonnen, der mit einer Solidaritäts-Kundgebung auf dem Ile-de-Ré-Platz endete. Dort versammelten sich trotz eisiger Kälte gut 400 Betriebsangehörige mit Unterstützern und Sympathisanten, viele mit Trillerpfeifen ausgestattet, manche mit Transparenten. Über den Kirchenvorplatz wehte ein Fahnenmeer: Gewerkschaft und Kirche zeigten gemeinsam Flagge, so die Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und der Evangelische Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA). Ins Auge fielen zwei schwarze Kreuze mit den Aufschriften: “Goodyear 1967 – 2017“ und „Wenn Profitgier über Menschlichkeit siegt.“ Pastor Riehm-Strammer richtete als Sprecher des „Solidaritätskreises Goodyear“ einen eindringlichen Appell an die Unternehmensführung, den Standort Philippsburg zu erhalten und die dortigen 900 Arbeitsplätze zu schonen.

„Das Goodyear-Rad dreht sich in die falsche Richtung“ und verursache somit Hunderte von Opfern. Der Arbeitsplatzverlust dürfe so nicht hingenommen werden, rief der Kirchenmann den stillschweigenden Verantwortlichen mit lauter Stimme zu: Jürgen Titz, der Geschäftsbereichsleiter für Goodyear Dunlop in Deutschland, und Joachim Zentes, der einflussreiche Aufsichtsratsvorsitzende. „So geht man nicht miteinander um“, lautete die pfarrliche Kritik, die immer wieder lebhaften Beifall fand. „Wir werden weiter protestieren“, kündigte er an. Und reimte mehrmals: Unsere Reifen – sollen bleiben.“

Auffallend emotional beschwor Bürgermeister Stefan Martus den Konzern, „Menschlichkeit zu zeigen.“ Es sei zwar „fünf vor zwölf“, aber nicht zu spät. Ein Umdenken könne und müsse noch erfolgen. An die Adresse der Arbeitnehmer gerichtet, stellte er fest: „Ihr seid das Kapital der Firma. Und das muss die Firma auch erkennen. Und danach handeln.“ Einer der Goodyear-Unternehmensgrundsätze laute „People first“, was inzwischen Hohn spreche. „Kämpft weiter, wir sind an eurer Seite“, machte das Stadtoberhaupt unter dem Beifall auch seiner Bürgermeisterkollegen deutlich.

Kein Blatt vor den Mund nahm der Gewerkschaftsvertreter der IG Bergbau, Chemie und Energie, Karsten Rehbein: Die Konzerne haben keine Achtung mehr vor der Würde des Menschen, beklagte er und erinnerte an das Grundgesetz, das auch für Großunternehmen gelte, mit dem Satz „Eigentum verpflichtet.“ Sein Resümee: „Wir schweigen nicht, wir werden weiterhin laut sein. Zeigen wir’s den Managern, wie gelebte Solidarität aussieht.“ Solidarisch zeigte sich auch Löwenwirt Orhan Caydan mit der „Marktplatzgastronomie“ und spendete für die vier Hundertschaften heiße Getränke und heiße Würste.

 

(Schmidhuber)

 

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