Unterschlupf für den atomaren Ernstfall?

Zwischen 1970 und 1989 entstanden 4.611 unterirdische Bunker-Schutzplätze

Es gibt Spötter, es gibt Kritiker, es gibt Befürworter. Nach einem Atomkrieg gäbe es nur noch Philippsburger auf der Erde, denn nur diese hätten in ihren beton- und stahlbewehrten Bunkern überlebt, heißt es einerseits. Die Stadt habe ihr gesamtes Geld – die jährlichen Millionen-Gewerbesteuereinnahmen waren damals die höchsten weit und breit - regelrecht im Sand verbuddelt und in nutzlose Bunker investiert, ist andererseits zu hören. Ganz pragmatisch sieht es Thea Geiger-Heiler, Stadträtin in den 80er Jahren: „Wir haben davon profitiert, Geld bekommen, Geld gespart. Dank der Bunkeroffensive gibt es jetzt drei große Tiefgaragen.“

Als einzige Stadt in der Region, vielleicht auch landesweit, kann die ehemalige Reichsfestung mit ihrem Erfahrungsschatz in Festungsangelegenheiten genau 4.611 Schutzplätze aufweisen, was einem offiziellen Versorgungsgrad von 36 Prozent entspricht. Wer allerdings im Ernstfall in den neun vorhandenen Bunkeranlagen unterkommen könnte, ist offen. Jedenfalls würden mehr Leute überleben können als nur Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung, freuen sich dazu befragte Einwohner.

Mitten im Kalten Krieg, zwischen 1970 und 1989, sind die Zufluchts-orte entstanden. Maßgeblichen Anteil an der Aktion hatte der damalige Bürgermeister Fritz Dürrschnabel, der laut einem Bericht der „ZEIT“ aus dem Jahr 1987 zunächst als „Schnakenfritz“ und später als „Bunkerfritz“ in die Ortsgeschichte eingegangen ist. Weil damals reichlich Fördermittel für solche Baumaßnahmen flossen, die niemand links liegen lassen wollte, griffen er und der Gemeinderat beherzt zu - und bauten und bauten. Unter seinem Vorgänger Karl Frank waren 1970 die ersten 40 Unterkünfte im Hausschutzraum der Feuerwehr an der Lessingstraße zustande gekommen, bald darauf erweiterte sich das Angebot auf weitere 400 Unterbringungsmöglichkeiten unter dem Altbau der Realschule. 1973 kam Dürrschnabel ins Amt. So richtig los legte der um die Sicherheit seiner Untertanen besorgte Bürgermeister ab 1982. In acht Jahren sorgte er dafür, dass weitere 4.200 Philippsburger, wer auch immer, zwischen dem Beton überleben könnten. “Das war der damaligen Zeit, den Befürchtungen der Bevölkerung geschuldet“, meint ein milde gestimmter Rathauschef Stefan Martus, der 2005 das betonharte Erbe antrat.

Heutzutage werden die teuren Bunker als Tiefgarage, als Lagerräume oder gar als Rumpelkammern genutzt. Warum diese Bunkermentalität? Das kann niemand mehr genau sagen. Vielleicht sahen die Bürgervertreter durch das Kernkraftwerk, die Bundeswehrkaserne oder das Munitionsdepot mit Atomwaffenlagerung eine besondere Gefährdung. Rettung versprachen wohl die acht Bunker in der Kernstadt. Doch auch die Huttenheimer könnten überleben. Das Pfarrzentrum St. Peter verfügt über einen Schutzraum für 598 Personen.

Wie die Wochenzeitung DIE ZEIT vor 30 Jahren berichtete, sollte es nach den Vorstellungen Dürrschnabels am Ende des Prozesses rund 12 000 Bunkerplätze geben. „113 Prozent Bunkerplatzversorgung möchte der Mittvierziger erreichen. Soviel wie in der Schweiz, seinem gelobten Land des zivilen Selbstschutzes“, war zu lesen. Zu seinem Ärger habe damals die oppositionelle Gemeinderatsfraktion der „Uffmugger“ – ganz sarkastisch - ein Preisausschreiben veranstaltet und Bunkerplätze verlosen wollen.

Doch der Bürgermeister zeigte sich von den, wie er es nannte, „Fluchtburgen für die Bürger“ unerschütterlich überzeugt. So entstand schließlich ein Bunker nach dem anderen. Doch konnte sich kein Philippsburger im Fall eines Falles einfach in die nackten Räume setzen. Wolldecken, Feldbetten, Alufolien, Isolationsmatten, Gummischürzen, Chemieklos, Wasserkanister, Dauerverpflegung – alles kostete zusätzliches Geld. Erstrecht die Unterhaltung und Wartung der unterirdischen Angebote. Sogar eine Reise in die Schweiz unternahmen die Verantwortungsträger, um dort die besten Bunkerbauten zu inspizieren. Unter der Amtszeit von Martus erfolgte der Bunker-Ausstieg. 2007 gab der Bund sein flächendeckendes öffentliches Schutzraumkonzept zu Zwecken des Zivilschutzes auf. Mitunter wurden die Bunker verscherbelt oder – wie in Philippsburg - einfach ausrangiert.

(Schmidhuber)

 

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