Weihnachtsgrußwort von Bürgermeister Stefan Martus
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
wir alle hatten gehofft, dass sich unser Leben dieses Jahr wieder weitestgehend normalisieren würde und wir uns an Weihnachten wieder auf dem Friedhof zum traditionellen Spielen der weihnachtlichen Weisen treffen können.
Leider befinden wir uns aber nach wie vor im Krisenmodus mitten in der vierten Coronawelle und eine fünfte steht uns wohl bevor.
Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir auch die mit der vierten Welle verbundenen und auch alle weiteren Herausforderungen gemeinsam bewältigen werden, wenn wir weiterhin verantwortungsvoll mit der Situation umgehen und die geltenden Regeln einhalten.
Folgendes Zitat ist mir als Weihnachtsgruß von einer geschätzten Kollegin zugegangen, die zu Beginn des Jahres 2021 im privaten Bereich einen schweren Verlust hinnehmen musste:
Wenn uns bewusst wird, dass die Zeit, die wir uns für einen anderen Menschen nehmen, das Kostbarste ist, was wir schenken können, haben wir den Sinn der Weihnacht verstanden.
Roswitha Bloch
Und mir selbst ist folgende Weihnachtsgeschichte aus dem letzten Jahr in die Hände gefallen:
Das Jahr, in dem Weihnachten fast ausfiel
Anna war ein wahrhaftiges Weihnachtswesen. Schon im September freute sie sich, dass es endlich wieder Lebkuchen und Schokonikoläuse zu kaufen gab. Pünktlich zum ersten Advent schmückte sie zusammen mit ihrer Familie die gesamte Hausfront mit einem Meer aus Lichtern. Als Kind war sie der Weihnachtsengel der Stadt gewesen und seit sie selber Kinder hatte, liebte sie es, den Kleinen so lange sie noch daran glaubten, für all die Geschichten vom Christkind und Nikolaus zu begeistern und die Adventsbräuche zu pflegen.
Anna hatte viele schwierige Jahre erlebt und wusste, dass es das Leben nicht immer gut mit einem meinte. Aber es war ihr jedes Jahr gelungen, ein glückliches gemeinsames Weihnachtsfest für die ganze Familie zu organisieren. Ohne Ausnahme kam ihre Familie seit fast vierzig Jahren am Heilig Abend im selben Wohnzimmer zusammen. Und seitdem ihre Eltern nicht mehr unter ihnen weilten, war sie selbst das heimliche Familienoberhaupt, das die Brüder, die Schwägerinnen, die Schwiegereltern und die stetig wachsende Kinderschar bekochte und verwöhnte. Seit fast vier Jahrzehnten gab es jedes Jahr dieselben Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat. Und auch am Ablauf des Heiligabends hatte sich seit der Zeit, als die Uromas noch mit trällernder Stimme "Stille Nacht" gesungen hatten, nichts verändert.
Weihnachten war ihr Anker in einer unsteten Welt und Trost in widrigen Zeiten. Und widrige Zeiten waren es in diesem Jahr in der Tat gewesen. Ihr Mann musste im Frühjahr mehrere Monate in Kurzarbeit und hatte seitdem Angst, seine Arbeit zu verlieren. Sie selbst hatte ihren Minijob als Köchin verloren. Was sie letztendlich als Glück im Unglück empfand, weil sie so aufgrund der langen Schulschließung zu Hause bei ihren Kindern bleiben konnte. Am meisten sorgte sie sich aber um die Schwiegereltern, die viele Wochen nicht mehr das Haus verlassen wollten aus Angst, sich anzustecken.
Gottseidank kehrte mit dem Sommer ein wenig die Normalität zurück. Anna half wieder in der Küche der Gastwirtschaft nebenan aus und die Kinder gingen wieder zur Schule. Und ganz so, als wäre nichts gewesen, entdeckte sie pünktlich zur letzten Septemberwoche die ersten Lebkuchen im Regal vom Supermarkt. Voll Vorfreude begann Anna sogleich, das Weihnachtsfest zu planen. Sie hatte die Familie in diesem Jahr kaum gesehen, deshalb sollte es das größte und schönste Weihnachtsfest werden, das sie je veranstaltet hatte.
Aber dann wurden die Nachrichtesprecher immer ernster und die Zahlen, die diese jeden Tag verkünden, immer bunter. Sie waren erst gelb, dann wurden sie rot und bald redete man nur noch von dunkelroten Zahlen. Dunkelrot sollte eigentlich nur der Mantel vom Nikolaus sein, dachte sie und hoffte, dass wenigstens in der kommenden Zeit einmal nicht von Krankheiten geredet wurde.
Sie hatte bereits die ersten Geschenke gekauft und in der Baumschule eine schöne Weißtanne ausgekundschaftet, als die Ansprachen der Politiker immer wieder auf Weihnachten zu sprechen kamen. Anna war ein wenig erleichtert, als die Regierenden erklärten, dass es dieses Jahr keinen Lockdown zu Weihnachten geben werde, damit alle im Dezember wie gewohnt Weihnachten feiern könnten.
Der Advent rückte näher und obwohl sie lange bangte, ob gemeinsame Weihnachten erlaubt würden, hatte sie bald die erhoffte Gewissheit: Der Ministerpräsident verkündete, dass man miteinander Heiligabend feiern durfte. Voller Vorfreude suchte sie den Bestellzettel für die Weihnachtswürstel heraus und bastelte mit den Kindern die Einladung für das Weihnachtsfest, die sie gleich zur Post brachten.
Sie wartete zwei, drei Tage, aber es kam keine Antwort. Weder von den Brüdern, noch von den Schwiegereltern.
Am vierten Tag schrieb sie eine zaghafte Nachfrage in die WhatsApp-Gruppe der Familie, ob sie denn die Karten schon bekommen hätten und wer wie viele Würste wünschte.
Wieder passierte einen Tag lang nichts. Am Abend des nächsten Tages las sie in der Gruppe folgende Nachricht: "Liebste große Schwester, ich feiere wegen der aktuellen Situation dieses Jahr wieder zu Hause und nur mit meiner Familie. Würstel brauchen wir auch keine. Wir sind doch seit diesem Jahr Vegetarier.“
Anna war drauf und dran, das Handy durch die Wohnung zu werfen.
Stattdessen begann sie wütend zu tippen: "Wenn ihr diesen bescheuerten Virus als Vorwand nehmt, um mir Weihnachten zu verderben, dann braucht ihr euch aber auch nächstes Jahr nicht mehr blicken lassen.“
Es dauerte keine Minute, da klingelte ihr Telefon. „Ja?“ murrte sie in ihr Handy. Es war ihr jüngerer Bruder. Er fragte, ob er ihr seine Gründe erklären dürfe. „Ich höre“, antwortete sie knapp.
Er erklärte ihr lang und breit, warum er es nicht verantworten wolle, in dieser Zeit mit mehr als zehn Erwachsenen und Kindern gleichzeitig zu feiern und zu singen.
„Aber das ist doch genau das, was Weihnachten ausmacht,“ entgegnete Anna.
„Aber nur weil es nicht verboten ist, heißt das nicht, dass es richtig ist“, entgegnete er ein wenig genervt.
„Ihr wollt einfach nicht zu uns kommen“, schimpfte Anna ins Telefon. Und legte auf.
Es dauerte nicht lange, da kam der nächste Anruf. Ihr älterer Bruder.
„Willst du auch absagen?“, rief sie ins Telefon, ohne ihn zu grüßen.
„Eigentlich wollte ich dir die Weihnachtsgeschichte erzählen“, sagte er ruhig.
„Die kenne ich schon.“
„Ehrlich?“, fragte er und fügte hinzu: „Dann erzähl mir mal, wie viele Menschen bei der Geburt Jesu in Betlehem dabei waren.“
„Nur Maria und Josef. Na und?“
„Und wer ist im Laufe der Nacht sonst noch vorbeigekommen?“
„Du stellst Fragen! Ein paar Hirten.“
„Und glaubst du, dass Maria es schöner gefunden hätte, dass an diesem Heiligen Abend – sagen wir mal acht Hirten und jede Menge Kinder mit dabei gewesen wären?“
Plötzlich verstand Anna, was ihr Bruder vorhatte und musste lächeln. „Nein“, gestand sie sich ein und musste an ihre eigene erste Geburt denken. „Wäre ich Maria gewesen, hätte ich lieber gar keinen Besuch gehabt.“
„Kann es sein, dass wir heuer endlich einmal die Chance haben, Weihnachten so zu feiern, wie es ganz ursprünglich einmal gewesen ist?“
Anna seufzte. „Du hast ja recht“, sagte sie und merkte, wie sie schon wieder etwas ruhiger wurde.
„Bist du mir böse, wenn wir an Heilig-Abend nicht kommen und wir uns die Tage danach treffen?“
Anna war immer noch ein klein wenig wütend und schwieg.
„Du weißt schon, dass wir nach diesem schwierigen Jahr nichts lieber getan hätten, als zusammen mit dir und allen anderen gemeinsam zu feiern?“
Anna seufzte. „Natürlich“, antwortete sie und konnte schon wieder lächeln.
Sie dachte nach dem Telefonat lange über den Vergleich ihres Bruders nach. Und als ihr nach und nach klar wurde, dass es beim wahren Geist der Weihnacht nicht darum ging, mit der ganzen Verwandtschaft ein lautes, üppiges Fest zu feiern, sondern im engsten Kreis still und andächtig bewusst Zeit miteinander zu verbringen und dankbar für die kleinen Freuden des Lebens zu sein – da freute sie sich auf diesen kommenden Heilig-Abend noch mehr als jemals zuvor.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
in diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass die zunehmende Dunkelheit und die Vorweihnachtszeit Sie zum Innehalten und Nachdenken anregen.
Innehalten angesichts der besonderen Tage, die vor uns liegen. Nachdenken über das was war, was wir haben oder vermissen und das, was wir für das nächste Jahr erhoffen.
Jene, die uns in diesem Jahr verlassen haben, behalten wir in unserem Herzen und versuchen dennoch zuversichtlich in das neue Jahr zu gehen.
Gemeinsam haben wir schon vieles erreicht und gemeinsam können wir auch optimistisch ins neue Jahr schauen und hoffen, dass wir 2022 wieder all das erleben können, was uns gerade am meisten fehlt.
Tanken Sie neue Energie im Kreis Ihrer Lieben, kommen Sie gut ins neue Jahr und bleiben Sie gesund!
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest und vor allem ein gesundes, neues Jahr 2022.
Ihr
Stefan Martus
Bürgermeister